Erdgeschichte

Der Mensch breitet sich auf der ganzen Erde aus - Vor 1,7 Mio. Jahren bis heute: Das Quartär

Die zeitliche Gliederung

Die Bezeichnung Quartär für den letzten Abschnitt der Erdgeschichte geht auf eine Gesamtgliederung der Erdgeschichte zurück, die der französische Geologe Jules-Pierre-François-Stanislas Desnoyers 1829 aufstellte. Seine Ordnung kannte vier große Abschnitte: Primär, Sekundär, Tertiär und Quartär.

Obleich das Quartär der jüngste und dementsprechend besterforschte Abschnitt der Erdgeschichte ist, wird es zeitlich sehr unterschiedlich fixiert. Die Paläobotaniker gehen meist davon aus, dass das Quartär bereits vor 2,3 Jahrmillionen beginnt. Demgegenüber legen manche Paläontologen seinen Anfang auf 2 Jahrmillionen fest. Die Paläozoologen nehmen als zeitliche Untergrenze den Beginn der Eburon- oder Donau-Kaltzeit an, der bei 1,7 Jahrmillionen liegt. Dieses Buch folgt dem „Geological Time Table", der 1987 von Wissenschaftlern verschiedener Nationen mittels zahlreicher unterschiedlicher Quellen erarbeitet wurde. Dieser sich vermutlich durchsetzenden Lehrmeinung zufolge setzt das Quartär vor 1,7 Jahrmillionen ein.

Neben der Fixierung des Beginns wird auch die zeitliche Aufteilung des Quartärs nicht einheitlich gehandhabt. Heute tendiert man international zur Verwendung der folgenden Gliederung:

Unteres Pleistozän (1,7-0,72 Mio.)
Oberes Pleistozän (720 000-10 000)
Holozän (10 000-heute)

Eine andere Gliederung, die von Beobachtungen in Mitteleuropa ausgeht, folgt den Kalt- und Warmzeiten in Deutschland:

Ältestpleistozän (2,3-0,9 Mio.)
Altpleistozän (900 000-480 000)
Mittelpleistozän (480 000-125 000)
Jungpleistozän (125 000-10 300)
Holozän (10 300-heute)

Letztere, besonders in Deutschland noch gebräuchliche Gliederung entspricht allerdings nicht mehr dem Forschungsstand: Mit zunehmender Kenntnis der Kalt-Warm-Zyklen entdecken die Wissenschaftler immer mehr dieser klimatischen Abfolgen. Zudem lassen sich die mitteleuropäischen Verhältnisse nicht ohne weiteres auf andere Gebiete der Welt übertragen.

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Wechsel von Kalt- und Warmzeiten

Als beherrschendes Element bestimmt das wiederholte Anwachsen von Eismassen in vielen Gebieten der Welt das Klima des Quartärs. Während der einzelnen Kältephasen oder Glaziale liegen die Temperaturen in den gemäßigten Breiten um 5° bis 13° niedriger als heute. In den dazwischen eingeschalteten Warmzeiten (Interglaziale) sind sie dagegen z. T. geringfügig höher als heute. Innerhalb der Kaltzeiten finden sich kurzfristige Temperaturschwankungen. Perioden besonderer Kälte nennt man Stadiale, dazwischen liegende wärmere Phasen heißen Interstadiale. Bei den bedeutenden Eisvorstößen findet die eigentliche Vereisung nach dem Absinken der Temperatur mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung statt. Zunächst herrscht ein schneereiches Klima, bis sich die Eismassen allmählich aufbauen. Zu Beginn der Vereisungen ist das Klima jeweils generell feuchter, später wird es deutlich trockener. Für den Alpenraum lassen sich im Quartär fünf Glaziale und entsprechende Interglaziale nachweisen:

Donau-Glazial: 1,7-1,38 Mio.
Donau-Günz-Interglazial: 1,38-1,20 Mio.
Günz-Glazial: 1,20-0,82 Mio.
Günz-Mindel-Interglazial: 1,20-0,44 Mio.
Mindel-Glazial: 0,44-0,32 Mio.
Mindel-Riss-Interglazial: 0,32-0,18 Mio.
Riss-Glazial: 0,18-0,12 Mio.
Riss-Würm-Interglazial: 0,12-0,07 Mio.
Würm-Glazial: 0,07-0,01 Mio.
Nacheiszeit (Holozän): 0,01 Mio. bis heute.

Entsprechende Klimaphasen sind gleichzeitig in Norddeutschland, Südeuropa, Nordwesteuropa und Großbritannien belegt, haben dort aber andere Namen. In Osteuropa herrschen ähnliche, allerdings nicht identische Verhältnisse. Für Nordamerika sind von der Zeit vor 920 000 Jahren an vier Kaltphasen mit dazwischen liegenden Warmzeiten nachgewiesen.

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Neue Kräfte gestalten die Erde

Eiszeiten gab es auch bereits im Karbon (360-290 Mio.) und Perm (290-250 Mio.), nicht aber während des gesamten Mesozoikums (250-66 Mio.) und nicht während des größten Teils des Tertiärs (66-1,7 Mio.). Sie setzten erstmals im Pliozän (5-1,7 Mio.) ein. Nach rund 250 Jahrmillionen treten jetzt Frost und Eis als neue modellierende Faktoren auf. Im zeitlichen Vorfeld der Eisvorstöße erscheinen Kältesteppen, in denen der vegetationsarm gewordene Boden weit stärker der klassischen Erosion durch Wasser und Wind unterliegt als zuvor. Dazu kommen Frostphänomene wie Bodenfließen (Solifluktion), mächtige Frostaufbrüche oder Dauerfrostböden, in die im Sommer die Schmelzwassermassen nicht eindringen können und daher zu weiträumigen Ausschwemmungen führen. Vor den vorrückenden Eisfronten verstärkt sich die Winderosion. Kalte Fallwinde blasen von den Hochdruckgebieten über dem Eis in das Vorland und häufen Staub- und Feinsanddünen an, die sich als Löß und Sandlöß verfestigen. Das Eis selbst schafft völlig andere Erosions- und Sedimentationsformen als Wasser und Wind. Es sortiert das mitgeführte Geschiebe nicht, sondern lagert es ungeschichtet ab: Moränenlandschaften entstehen.

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Geographische Verhältnisse

Durch die kommende und gehende Eislast senkt und hebt sich das darunter liegende Land. Daneben wirkt das Klima des Quartärs stark auf die Ausdehnung der Meere ein, beeinflusst also generell die geographische Entwicklung.

Die einzelnen Eisvorstöße prägen das paläogeographische Geschehen entscheidend. Mitteleuropa liegt mehrfach weitgehend unter Eis, hat aber in den Warmzeiten teilweise eine größere Ausdehnung als heute, weil die Schelfgebiete z. T. über den Meeresspiegel hinausragen. Großbritannien besitzt neben kleineren Zonen im schottischen Hochland ein eigenes Vereisungszentrum. Von dort aus schieben sich die Eismassen in die Irische See und in die Nordsee. Während der Elster-Kaltzeit (sie entspricht der Mindel-Kaltzeit im Alpenraum) stößt das skandinavische Eis bis zu den Britischen Inseln vor. Der größte Teil Osteuropas liegt während der Kaltzeiten unter Eismassen, die von skandinavischen Hochgebirgen abfließen. Sibirien ist im Westen stark vereist, während sich im Osten nur eine geringe oder gar keine Eisdecke findet. Im Gegensatz zu Europa reicht das Eis hier auch nur bis etwa zum 60. Breitengrad nach Süden (was etwa der Höhe Stockholms entspricht).

In Nordamerika liegen Vereisungszentren sowohl in den Gebirgen des Westens wie des Ostens. Ihre Gletschermassen vereinen sich in der Mitte des Landes zum großen Laurentischen Eisschild. Hier reicht das Eis im Westen bis etwa 47°, im Osten bis in den Bereich südlich der Großen Seen (40°). Große Teile Alaskas bleiben allerdings aufgrund extrem trockenen Klimas eisfrei. Wegen des durch die Vereisungen niedrigen Meeresspiegels wird die Beringstraße als Verbindung zu Asien nach der pliozänen Überflutung wieder landfest. Während der Warmzeiten dient diese Landverbindung den quartären Säugern als Einwanderungsweg, nach den letzten Vereisungen wird sie auch für den Menschen zum Tor in die „Neue Welt". In den niederen Breiten, besonders in den heutigen Subtropen und Tropengürteln, findet wiederholt ein Wechsel zwischen feuchten und trockenen Perioden statt. Der Eisschild in der Antarktis, der sich gegen Ende des Tertiärs aufbaute, erreicht während des Pleistozäns seine größte Ausdehnung.

Gegenüber den durch Vereisungen und Abschmelzprozesse sowie Meeresspiegelschwankungen bedingten weiträumigen geographischen und geomorphologischen Veränderungen haben Vorgänge der Kontinentaldrift während des Quartärs keinen merklichen Einfluss auf das Gesicht der Erde. Allenfalls tektonische Ereignisse (Grabenbrüche, fortschreitende Gebirgsauffaltung) haben noch eine untergeordnete oder regionale Bedeutung. Auch der Vulkanismus bringt keine größeren geographischen Veränderungen mit sich, wenn man von der Entstehung kleinerer Eilande o. ä. absieht.

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Tier- und Pflanzenwelt

Bedeutende Weiterentwicklungen sind im erdgeschichtlich nur kurzen Quartär weder bei den Tieren noch bei den Pflanzen zu beobachten. Dafür lässt sich an den unterschiedlichen Faunen und Floren sehr gut die regionale klimatische Geschichte verfolgen. Unter den Wirbellosen weisen vor allem Foraminiferen, Schalenkrebse (Ostracoden), Schnecken (Gastropoden), Muscheln (Lamellibranchiaten) mit verschiedenen Formen, die jeweils andere Wassertemperaturen bevorzugen, auf Klimazonen hin. Auf dem Festland ist die Süßwasserschnecke Viviparus diluvianus für das Holstein-Interglazial (320 000-180 000) charakteristisch. Dagegen stellen die so genannten Lößschnecken (Succinea oblonga u. a. ) typische Tiere der kalten und trockenen Lößbildungszeiten in den eisfreien Gebieten dar. Auf dem Festland sind die Säuger von großer Bedeutung, darunter vor allem die Nagetiere (Rodentier), die Raubtiere (Carnivoren), die Huftiere (Ungulaten) und die Rüsseltiere (Probosciden), die z. T. noch eine rasche Artenzunahme zeigen. So entstehen die echten Pferde der Art Equus caballus sowie verschiedene Arten der echten Elefanten, so z. B. der Südelefant, der Wald- und der Steppenelefant und das Mammut Mammuthus primigenius, eine an die Tundra angepasste Kälteform. Mit den sinkenden Temperaturen wandern die meisten Säuger in niedrigere Breiten; in den Kältesteppen bleiben wenige Kaltzeitarten zurück: Verschiedene Lemminge, das Steppenmurmeltier und andere Nager, daneben Höhlenbewohner wie der Höhlenbär und der Höhlenlöwe, die beide an der Wende Pleistozän/Holozän aussterben. Unter den Huftieren spezialisieren sich das Wollnashorn, das Ren und der Moschusochse auf das Leben in der Tundra. Während der Warmzeiten wandern Waldelefanten, Nashörner und Braunbären in höhere Breiten. In Südamerika fallen schon seit dem Pliozän Riesenfaultiere und Riesengürteltiere auf, die im Pleistozän auch nach Nordamerika einwandern.

Die Flora folgt in ihrer Ausbreitung ebenfalls den drastischen Klimaschwankungen. Einige Arten, wie z. B. die wärmeliebende Seerose Brasenia purpurea, verschwinden endgültig aus Mitteleuropa. Andere weichen während der Eisvorstöße nach Süden aus, um jeweils während der Warmzeiten zurückzukehren. Das betrifft vor allem Gehölze wie die Birke, die Kiefer, die wärmeliebende Hasel, die Eichen, Ulmen und Linden. Sträucher und krautige Pflanzen verhalten sich ähnlich.

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Entwicklung und Ausbreitung des Menschen

Das Quartär ist die große Zeit der Entwicklung des Menschen. Nach ersten Hominiden im Pliozän in Gestalt der Urmenschengattung Australopithecus, die auch noch im Pleistozän vertreten ist, und der Formen von Homo habilis in Afrika erscheint zunächst im Unteren Pliozän der Formenkreis um Homo erectus. Dieser erhält sich bis in die Holsteinzeit (320 000-180 000), lokal sogar bis in das Eem-Interglazial (120 000-70 000). Vor rund 1 Mio. Jahren ist Homo erectus schon über Asien, Afrika und Europa verbreitet. Er kennt vermutlich bereits den Gebrauch des Feuers. Vor spätestens 350 000 Jahren erscheint die Gruppe Homo sapiens, die ebenfalls Asien, Afrika und Europa bewohnt. Nach Funden aus Nordafrika und China geht sie bis in das Untere Pleistozän zurück, ist also möglicherweise schon wesentlich älter. Parallel zur Homo-sapiens-Gruppe entwickelt sich vor rund 200 000 Jahren die Linie der „klassischen" Neandertaler, die sich durch ein sehr großes Gehirnvolumen (1400 bis 1600 cm³) auszeichnet und schon differenzierte kulturelle Leistungen (ornamentale Tierfiguren, Bestattungsrituale usw.) aufweist. Der Neandertaler ist eine Nebenlinie, die nicht zum modernen Menschen (Homo sapiens sapiens) führt. Dieser erscheint während der Weichsel- bzw. Würm-Kaltzeit (70 000-10 000).

Kulturgeschichtlich fallen in das Quartär folgende Epochen:

Altsteinzeit: Paläolithikum, bis vor etwa 10 300 Jahren

Mittelsteinzeit: Mesolithikum, in Europa etwa 10 300 bis 6000

Jungsteinzeit: Neolithikum, in Europa etwa 6000 bis 3800
Metallzeit: In Europa seit etwa 3800

Die historische Zeit steht im Zeichen der rapiden individuenmäßigen Zunahme des Menschen sowie seiner ebenso explosiv fortschreitenden Beeinflussung und Veränderung nahezu aller Lebensräume der Erde.

1. April 2005 www.wissen.de


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